Seit ihrem 15. Lebensjahr veröffentlicht sie regelmäßig Texte aller Gattungen und Genres und berichtet auf ihrem Blog Gutenbergs Letterwald über die Mainzer Literaturszene.

Kinder sehen die Welt anders. Sie haben eine geschärfte Wahrnehmung für aus Erwachsenensicht unwichtige Dinge, erfreuen sich lieber an kleinen, selbstgefundenen Souvenirs und finden dabei Sicherheit in der festen Verwurzelung ihres heimatlichen Ursprungs.

Für die zehnjährige Kully gibt es so etwas wie Heimat nicht mehr. Weil ihr Vater sich in seiner Schriftstellertätigkeit regimekritisch geäußert hat, ist die kleine Familie auf der Flucht und reist von Polen über Frankreich bis nach Holland. Von dort geht es mit dem Schiff nach Amerika. Die Mutter versucht noch im Exil, ein liebevolles Nest für Kully aufzubauen, schafft es jedoch nicht, ihre eigenen Ängste Beiseite zu schieben und zerbricht immer mehr an ihren Sorgen. Der Vater bringt die Familie in ständige Geldnot und lebt über seine Verhältnisse. Da lässt er seine Tochter auch gern mal als Pfand zurück. Kully erlebt diese Zeit der Um- und Aufbrüche mit Kinderaugen, bewertet die Dinge mit kindlicher Logik und findet immer wieder einen Weg, sich mit der fremden Umgebung zu arrangieren. Mit dem Erlernen der jeweiligen Landessprache als Schlüssel findet sie Anschluss und schließt Freundschaften, sodass sie sich am Schluss wirklich zum „Kind aller Länder“ entwickelt.

Irmgard Keun zeichnet ein eindrucksvolles Bild der Vorkriegszeit aus der Sicht einer Zehnjährigen. Durch den kindlichen Wahrnehmungsfilter erscheinen die Ereignisse noch brutaler und wecken ein tiefes Mitgefühl für die heimatlose Protagonistin. Der Autorin gelingt trotzdem ein leichter Ton und die zehnjährige Kully erobert mit ihrer klugen Weltsicht unsere Herzen. Dieses Buch, das erstmals 1938 veröffentlicht wurde, ist ein beeindruckendes Stück Exilliteratur und eine unbedingte Leseempfehlung.

Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch für € 17,99