Und die Erschöpfung ist es, die den Protagonisten ihres aktuellen Romans umtreibt.
Henning hat viel in seinem Leben: zwei gesunde Kinder, einen guten Job, eine Frau, mit der er sich das Familienmanagement teilt. Alles klingt gut, alles scheint einfach.
Aber sehr schnell sieht der Leser, dass Henning dieses moderne Familienmodell zwar lebt, es ihn aber permanent überfordert. Zeh gliedert den Roman in zwei Teile.
Henning verbringt die Weihnachts- und Neujahrstage mit seiner Frau Teresa und den beiden Kindern Bibbi und Jonas auf Lanzarote.
Im ersten Teil unternimmt er auf der Insel eine Fahrradtour ins Vulkangebirge. Dabei lernt ihn der Leser als überforderten Familienvater kennen. Henning schwitzt, kämpft sich die Serpentinen hoch und bemitleidet sich.
Denn er kann nicht mehr, sein jetziges Leben reibt ihn auf, er ist im Hamsterrad des Familienalltags mit all den vielen Anforderungen gefangen. So hat er auch seit geraumer Zeit immer wiederkehrende Panikattacken, die ihn zunächst nachts, dann auch tagsüber überrollen.
Während der rund 90-seitigen Fahrradtour bricht all das aus ihm heraus. Zeh beschreibt Hennings Gefühl zu versagen in der modernen, emanzipierten Familienwelt. Sie zeigt einen liebenden und zugleich verzweifelten Mann, der an den täglichen Aufgaben zu zerbrechen droht.
Der zweite Teil des Buches beginnt, als Henning eine Hochebene des Vulkangebirges erreicht.
Entkräftet und erschöpft wird er von einer deutschen Künstlerin in ihrem Haus bewirtet.
Hier hat er dann ein Déjà-vu. Das einsame Haus kommt ihm bekannt vor. Er beginnt sich zu erinnern. Es folgt der Rückblick auf eine verdrängte Kindheitsepisode.
Vor Jahren war er als Fünfjähriger mit seinen Eltern und seiner zweijährigen Schwester Luna in eben diesem Haus in den Ferien. Nach und nach dämmert ihm, dass die Wurzeln seines Befindens bis tief in die Kindheit hineinreichen.
Die Rückblende umfasst rund 70 Seiten und diese Passage ist grandios.
Zeh beschreibt auf fesselnde und geradezu beklemmende Art zwei allein gelassene kleine Kinder, die auf eine Katastrophe zuzusteuern scheinen.
Sie schildert die Welt aus der Sicht des kleinen Henning so dicht und detailgetreu, dass man es als Leser kaum aushält.
Das Verhältnis zu seiner Schwester wird in dieser Zeit geprägt, das Erlebte lässt ihm keine Ruhe.
Im Roman geht es um das Gefühl von Überforderung, um Erinnerungen und was diese mit uns machen, es geht um Pflichtgefühl und auch um die Frage „Wie bleibe ich mir selbst treu?“.
Erst nach dem Lanzarote-Urlaub weiß Henning, was er ändern muss.
Ein Roman mit großer Wucht erzählt auf 190 Seiten.
Juli Zeh hat mich einmal mehr überzeugt.
Gelesen von Katja Meyer
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