The
Good Soldier heißt der Roman, der zuerst 1915 erschien, im
englischen Original. Der Verlag lehnte den von Madox vorgeschlagenen
Titel „The Saddest Story“ ab. Mit dem drohenden Krieg und dem
Untergehen der alten Weltenordung vor Augen schlug der Autor mit
einem Augenzwinkern The Good Soldier als Titel vor. Soweit die
Legende.
Glaubt man den Aussagen späterer Kritiker, war wohl das fabulierende Erzählen Madox´ große Leidenschaft. Selbst um seine eigene Biographie ranken sich viele Storys.
Der
Ausgabe, die mir vorliegt, stellte Madox 1927 einen Brief an seine
Frau voran. Blauäugig las ich also die ersten Zeilen und war sehr
angetan und voller Bewunderung für den romantischen Briefeschreiber.
Er beginnt das Schreiben mit seiner Rechtfertigung für den Roman. Doch dann folgen lakonische Liebesbekundungen an die Adressatin: „Was ich jetzt bin, verdanke ich Dir: Was ich damals war, als ich The Good Soldier schrieb, verdanke ich der Verkettung von Umständen eines ziemlich ziellosen und launenhaften Lebens. ... Du, meine liebe Stella, wirst diese Geschichten oft von mir gehört haben. Aber jetzt trennt uns der Ozean, und ich stecke sie in diesen Brief, den Du lesen wirst, ehe Du mich wiedersiehst, in der Hoffnung, sie mögen Dich erfreuen, und mit der Illusion, dass Du vertraute – und liebevolle – Stimmen hörst. ...“
Der Brief soll wohl als eine Art Widmung dienen.
Die
Handlung des Romans zusammenzufassen ist gar nicht so leicht. Recht
bald merkt man beim Lesen, dass der Erzähler einen immer wieder an
der Nase herumführt.
Es geht um zwei Ehepaare, die sich während der Belle Epoque beim Kuren in Bad Nauheim begegnen. Das Ehepaar Edward und Leonora Ashburnham aus England und die Eheleute John und Florence Dowell aus Amerika.
Der Roman spielt in einer Zeit, in der der Herr der Dame noch beim Flanieren zuschaut, das Gebäck stets auf filigranen Etageren serviert wird und von behandschuhten Fingerspitzen, elegant zum Mund geführt wird. Sofort öffnet sich der gesamte Kosmos der alten, sittsamen aber zutiefst steifen feinen Gesellschaft.
Es werden rein informative, oberflächliche Gespräche geführt. Die Frau verhält sich stets angemessen, der Mann fragt nicht allzu genau nach. Das Bild, welches die Vier jeweils voneinander haben, basiert hauptsächlich auf Vermutungen und Fehldeutungen. Irrungen und Wirrungen sind die Folge.
So spielt die sittsame, prüde Florence ihr Herzleiden nur vor, um ihren Ehemann aus ihrem Bett fernzuhalten. Die Kuraufenthalte der Ashburnhams dienen eigentlich auch nur als Abwechslung vom langweiligen englischen Landleben. Es ist Anfang des 20. Jahrhunderts. Noch vor dem ersten Weltkrieg. Auch die Dowells haben keinen so rechten Stand in den feinen Kreisen des Geldadels an Amerikas Ostküste. Und so fährt man alljährlich nach Europa. Genauer betrachtet, ein eher trostloses Leben. Der tragikomische Lebenszustand aller Protagonisten, reich aber für die Gesellschaft nutzlos, bildet ein wackeliges Gerüst. Es bedarf somit nicht viel, um es zum Einstürzen zu bringen.
Dieses
Sujet ist so alt, wie das Geschichtenerzählen an sich. Bereits im
Alten Testament gibt es Berichte über das Vortäuschen falscher
Tatsachen um seine eigenen Interessen durchzuboxen.
Auch Goethes Wahlverwandtschaften hat dieses haltlose Konstrukt der Ehe zum Thema.
Doch irgendwie liest sich Die allertraurigste Geschichte ganz neu. Ich konnte mich beim Lesen gar nicht recht mit einem der vier Protagonisten verbünden. Alle taten mir leid und gleichzeitig hegte ich für alle vier gleichermaßen Verachtung. Jeder missbraucht das Vertrauen der anderen und wird gleichzeitig ebenfalls hinters Licht geführt.
Besonders
mochte ich Madox` selbstironischen Blick auf das gelangweilte Leben
und seine Beschreibungen über die Kuraufenthalte an sich. Die
seltsam getakteten Tagesabläufe, das Warten des Mannes auf einer
Parkbank, während die Gattin eine Anwendung im Bäderhaus hat. Der
immer gleiche Sitzplatz im Speisesaal. Belanglose Plaudereien mit
anderen Kurgästen. Das alles beschreibt Madox sehr unbeeindruckt und
verleiht so dem ganzen einen ganz speziellen, tragikomischen
Beigeschmack.
Wer Bad Nauheim kennt, wird die gut gekleideten Flaneure in den Parks und Kuranlagen direkt vor Augen haben.
Völlig zurecht, wie ich finde, gilt Die allertraurigste Geschichte als der perfekte Roman. Er hat alles zu bieten, was gute, zeitlose Unterhaltung ausmacht: Liebe, Täuschung, Verrat.
Die
allertraurigste Geschichte von Ford Madox Ford liegt in zwei Ausgaben
vor:
Einmal aus dem Diogenes Verlag, gebunden im Schmuckschuber für 29,00 Euro.
Einmal aus der Büchergilde für Mitglieder, bedrucktes Leinen, Einbandgestaltung von Katja Holst, 25,00 Euro.
(Buchtipp aus unserem Literarischen Adventskalender 2020)
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