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Saint Mazie

Jami Attenberg - Übersetzt von Barbara Christ

Als im Spätsommer die Schöffling & Co. - Lektorin Sabine Baumann bei uns zum Bücherfrühstück da war und aus dem Verlagsnähkästchen plauderte, erinnerte sie mich an eine Autorin, die ich fast vergessen hatte.
Vor Jahren flatterte ein Leseexemplar der New Yorker Schriftstellerin Jami Attenberg in die Buchhandlungen. Ich sah das Cover und las kurz über den Klappentext – Familiengeschichte einer verschrobenen amerikanisch-jüdischen Familie in New York.

Saint mazie
Autor
Jami Attenberg - Übersetzt von Barbara Christ
Seiten
384
Verlag
btb Taschenbuch
Veröffentlicht
2019
€ 11,-

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Mareike
Schneider

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Ich war sofort gespannt auf Die Middelsteins und las ein hinreißendes Buch. Jami Attenberg versteht es, die Brüche in der menschlichen Seele als Grundlage ihrer Erzählung zu nehmen, ohne ihre Figuren bloßzustellen. Das mochte ich damals sehr. Außerdem hat sie genau meinen Humor getroffen.

Wie konnte ich sie nur aus den Augen verlieren ...?!

Auf die Frage, wie der Verlag Titel auswählt, erzählte Sabine Baumann, dass sie eben alle gerne und viel lesen und neben den eigenen deutschsprachigen Autoren auch immer ganz gespannt den internationalen Literaturbetrieb beobachten. So verhandeln sie auf Messen oder ganz unprätentiös per Mail Lizenzverträge mit ausländischen Verlagen. Manchmal passiert es auch so, wie im Fall von Jami Attenberg, dass ein Verlagsmitarbeiter im Urlaub von einem Buchhändler einen Titel besonders ans Herz gelegt bekommt und wenn es gut läuft, erscheint dann so ein Titel in deutscher Übersetzung.

Neben Die Middelsteinsund Ehemännerist 2016 der Roman Saint Mazievon Jami Attenberg bei Schöffling & Co. erschienen.

In dem Roman geht es um die Titelgebende Mazie, die im Laufe ihres Lebens eine Art Heilige für die New Yorker Stadtstreicher und andere gefallene Sterne wird. Mazie Phillips hat es tatsächlich gegeben, doch ihre Geschichte, wie sie hier erzählt wird, ist ein Kunstgriff der Autorin.

Neben Tagebucheintragungen Mazies, kommen immer wieder Personen zu Wort, die ihren Lebensweg in irgendeiner Weise gekreuzt haben. So entstehen vielschichtige Erzählperspektiven.

Mazie wächst mit ihrer jüngeren Schwester Jeanie in der Obhut ihrer ca. 10 Jahre älteren Schwester Rosie und ihrem Mann Louis im New York der 20er Jahre auf. Louis verdient sein Geld mit Immobilien, Pferderennen und einem Kino – dem Venice.

Zunächst lebt die Familie direkt in Manhattan, dem Schmelztiegel der Zeit kurz vor der großen Depression. Die Geschäfte boomen, auch weil nie so ganz geklärt werden kann, ob Louis nicht eigentlich ein Krimineller ist.

Mazie wird flügge, treibt sich in den Straßen der Stadt herum. Tanzt und trinkt die Nächte durch. Ihre Schwester Rosie treibt sie mit diesem Verhalten in den Wahnsinn. Die ohnehin labile Person bekommt regelmäßig verzweifelte Anfälle aus Sorge um ihre kleine Schwester. So beschließt sie, sie im Kassenhäuschen des Kinos „einzusperren“. Fortan verkauft Mazie also Eintrittskarten für die verschiedenen Vorstellungen. Es ist das goldene Zeitalter des Kinos. Vor ihrem ein Quadratmeter kleinen Kassenhäuschen bilden sich täglich lange Schlangen.

Anfangs protestiert sie noch vehement gegen diese Maßnahme, doch entspricht es ihrem Charakter, sich schließlich zu fügen. So macht sie das Beste aus ihrer Situation. Jetzt, da sie nicht mehr selbst durch die Straßen schlendern kann, lässt sie sich von ihren Kunden in der Schlange erzählen, was passiert.

Es spricht sich schnell herum, dass Mazie in ihrer Zelle immer ein offenes Ohr hat und recht spendabel mit ihrem Flachmann ist. Eine drogensüchtige Mutter fleht sie um ein par Cents an, um ihren Kindern Essen zu besorgen.

Sie freundet sich mit einer Nonne an. Hin und wieder lädt sie einer zum Abendessen ein. Hier ein Flirt dort ein Drink. Eigentlich ganz leicht, so ein eingesperrtes Leben.

Wären da nicht die eigenen Probleme. Mazie wundert sich über ihren eigenen Unwillen, sich ernsthaft auf einen Mann einzulassen. Die kleine Jeanie, die immer schon davon geträumt hat, Tänzerin zu sein, verlässt eines Nachts klammheimlich das Nest und tingelt durch verruchte Bars quer durchs Land. Rosie droht an dem Verlust zu zerbrechen. Ihre Verlustängste haben einen traurigen Hintergrund. Einzig Louis ist ihr eine verlässliche Stütze.

Die Familie zieht an die Küste, nach Brooklyn. Mazie erlebt mit, wie die erste Bahnlinie Richtung Coney Island fährt.

Sie erlebt mit, wie die Stadt jede kleine Regung zum Anlass für ausgelassenes Feiern nimmt. So begeht New York mindestens zweimal rauschhaft das Ende des 1. Weltkriegs. Mazie immer mittendrin. So driftet sie durch ihr Leben.

Sie verliert liebgewonnene Menschen. Sie strauchelt und rappelt sich wieder auf. Die Prohibition lehrt sie, dass diese Stadt mindestens zwei Gesichter hat. Sie kümmert sich um halb totgeschlagene Obdachlose. Die rohe Gewalt, die auch von der Polizei ausgeht, erschüttert sie, doch sie versucht das auszublenden und nicht selten betäubt sie sich mit Alkohol.

Als dann auch noch die Wall Street 1929 zusammenbricht, scheint die Stadt endgültig ins Verderben zu stürzen. Banker, die vor kurzem noch an ihrer Kinokassen Schlange standen, stehen nun mit Essensmarken vor den verschiedenen Ausgabestellen der Stadt. New York zeigt sich hier von seiner hässlichsten Seite.

Wie Mazie mit dieser einschneidenden Veränderung umgeht, möchte ich nicht verraten.

Saint Mazieist ein vielschichtiger Roman, der temporeich erzählt ist. Es ist nicht nur ein Roman über eine außergewöhnliche Frau sondern letztlich auch eine Liebeserklärung an Manhattan und seine Bewohner.

Mareike
Schneider

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